Eine spirituelle Dimension in unser Leben bringen

Unsere Praxis ist ein Gesamtsystem, das alle Bereiche unseres Lebens mit einschließt. Die verschiedenen Aspekte dieses Gesamtsystems unterstützen und verstärken sich gegenseitig, so dass ein geistiger Entwicklungsprozess in Gang gesetzt wird, der es uns erlaubt, mit immer mehr Weisheit und Mitgefühl in der Welt zu leben.

So sind auch die formale Meditationspraxis und die Praxis im täglichen Leben nicht zwei voneinander unabhängige Bereiche, sondern beeinflussen und ergänzen sich gegenseitig.

Bestimmte Übungen in der geschützten Atmosphäre des Meditationsraumes helfen uns, einen ruhigen, klaren und offenen Geist zu erleben. Je vertrauter dieses Erleben ist, desto öfter und natürlicher können wir damit auch im täglichen Leben in Kontakt kommen und dort aus einem offenen, klaren und mitfühlenden Geist heraus aktiv sein.

Gleichzeitig erhöht die konstante Praxis im Alltag unsere Bewusstheit, positive Geistesfaktoren können kultiviert und bestimmte ungeschickte Muster aufgelöst werden, wovon wiederum die formale Meditation profitiert.

Genau wie eine positive gegenseitige Beeinflussung der beiden Bereiche möglich ist, können wir uns auch selbst im Wege stehen. Denn wenn wir uns nach einem Tag der Unbewusstheit, der Hetze und der Verstrickung in negativen Gedanken abends zur Meditation setzen, nehmen wir genau diesen unruhigen, erschöpften Geist mit aufs Kissen. Auf diese Weise arbeiten wir gegen uns und es wird uns nicht möglich sein, den Geist des dhyan zu berühren.

Gleichzeitig müssen wir auch verstehen, dass das Erleben eines klaren, offenen Geistes in der geschützten Atmosphäre des Meditationsraumes als alleinige Praxis nicht ausreichend ist.

Erinnern wir uns an unsere Ausrichtung: „Wir wollen lernen, in dieser komplexen, gewalttätigen Welt mit einem Geist zu leben, dem wir vertrauen können, dass er klar und weise ist, und einem Herzen, dass sich nicht verteidigt, sondern offen ist für alle Wesen.“

Wollen wir diese Vision in unserem Leben verwirklichen, erfordert dies eine wirklich grundlegende Transformation unseres Seins.

Und dazu gehört auch, dass wir uns um die Inhalte unseres Geistes kümmern, also Einstellungen, Motivationen und Ideen, die unsere „innere Welt“ formen und aus denen heraus wir mit der Welt in Beziehung treten.

Es ist wichtig, an dieser Stelle klar zu verstehen, dass formale Praxis und Praxis im Alltag zusammengehören. Um es ganz deutlich auszudrücken: Das Sitzen alleine macht es nicht!

Wollen wir auf dem spirituellen Weg weiterkommen, müssen wir uns um unser Leben in seiner Gesamtheit kümmern. Wir sind also aufgefordert, eine spirituelle Dimension in unser Leben zu bringen.

Aus diesem Verständnis heraus werden im Folgenden zunächst einige grundlegende Einstellungen und Gedankengänge dargestellt, die wir immer wieder reflektieren und mit denen wir uns immer wieder verbinden sollten.

Grundsätzliche Einsichten und Einstellungen

Vier Einsichten und Einstellungen sind die Grundlage für unsere Praxis. Wir sollten diese Einsichten immer tiefer verstehen und unser Leben mehr und mehr von diesen Einstellungen durchdringen und leiten lassen.

1. Die tiefe Motivation, sich um den Geist zu kümmern

Die erste Einsicht ist, dass die Qualität unseres Lebens nicht von den äußeren Umständen, sondern von unserem Geist abhängt.

Unser Leben ist ein unablässiger Fluss von Situationen, die eine Antwort von uns fordern und mit denen wir aus unserem Geist heraus in Beziehung gehen. Das heißt, dass wir abhängig von unserer „inneren Landschaft“ (Einstellungen, Ideen, Forderungen, usw.) ein bestimmtes Verhältnis zur Realität kreieren und auf diese Situation antworten.

Können wir aus unserem Geist heraus nicht geschickt mit der entsprechenden Situation umgehen, beginnen wir zu manipulieren und zu kämpfen. Wir kreieren in diesem Fall dukkha, ein Erleben, das von einer leichten Irritation bis hin zu tiefer Verzweiflung und Qual reichen kann. Unsere Antwort auf die entsprechende Situation wird ungeschickt sein und weiter Verwirrung und Leid erzeugen – bei uns und bei anderen.

Können wir hingegen mit der gleichen Situation geschickt umgehen, erleben wir ein „mit dem Leben fließen können“, und auch unsere Antwort auf die Situation wird eine geschickte sein.

Wir müssen tief verstehen, dass für das Erleben von dukkha nicht die äußeren Umstände verantwortlich sind, sondern dass wir es aus unserer inneren Welt heraus kreieren.

Schmerzhafte Situationen können wir nicht vermeiden, aber Leiden ist optional!

Um es nochmals auf den Punkt zu bringen: für unser Erleben ist nicht die äußere Situation verantwortlich, sondern hängt davon ab, ob wir aus unserer inneren Welt heraus dukkha kreieren oder nicht.

Aus der Einsicht heraus, dass die Qualität unseres Lebens von unserem Geist abhängt, erwächst die tiefe Motivation, sich um den Geist zu kümmern.

Der starke Wunsch, Verantwortung für unseren Geist zu übernehmen und die Praxis beharrlich in unsere jeweilige Lebenssituation zu bringen, wird so zur bestimmenden Ausrichtung in unserem Leben. Von dem tiefen Verständnis dieses Punktes und der daraus entstehenden Motivation und Bereitschaft hängen alle weiteren Schritte ab.

2. Irritationen sind Warnlampen

Wir haben verstanden, dass das Erleben von dukkha von unserem Geist abhängt.

Das führt uns zur zweiten wichtigen Einsicht: Erleben wir eine Situation als irritierend, müssen wir uns deshalb sofort klarmachen, dass für dieses Erleben nicht die äußeren Umstände, sondern unsere geistigen Einstellungen verantwortlich sind.

Es macht keinen Sinn, die Schuld im außen zu suchen und mit Vorwurf oder Strafe zu reagieren.

Die Situation und das Erleben von dukkha stellt lediglich eine Warnlampe dar: „Im Moment ist irgendetwas an meinem Verhältnis zur Realität schief!“

Wenn wir diese ersten beiden Punkte gut verstanden und verinnerlicht haben, werden wir herausfordernde Situationen annehmen und ihnen offen begegnen. Sie werden so zu einer Gelegenheit, die dahinterliegenden Muster zu erkennen und kreativ nach Möglichkeiten zu suchen, sie zu ändern.

Achte auf Sätze wie „So bin ich nun mal!“ oder „Die Welt ist nun mal so!“

Denken wir so, entsteht sofort eine Opferhaltung, wir suchen die Schuld im außen, manipulieren und verpassen so die Gelegenheit, mit unserem Geist zu arbeiten.

3. Ich kann meinen Geist ändern!

Es ist nicht richtig, dass wir durch unser Gehirn festgelegt sind und dass wir Konditionierungen nicht ändern können. Vielmehr ist es so, dass die Gedanken, die wir denken, bestimmte Gehirnareale aktivieren und somit stärken. Da wir unsere Gedanken ändern können, haben wir die Möglichkeit, neue Bahnen in unserem Gehirn zu entwickeln und zu festigen.

Buddhistisch gesprochen bedeutet das, dass wir unserem Karma nicht hilflos ausgeliefert sind.

Mit der entsprechenden Bewusstheit können wir anhalten, zurücktreten und uns dafür entscheiden, anders zu denken und zu handeln und so neue neuronale Netzwerke in unserem Gehirn bilden.

4. Der Grund des Geistes ist frei!

Die grundlegende, ungeformte Natur des Geistes ist offen und klar und es ist möglich für uns, diesen Grund zu berühren.

In unserer Tradition sagen wir dazu „wir sind zuhause“ oder „wir entdecken wieder unsere wahre Natur “.

Dieser Grund des Geistes ist frei von Konditionierungen und Ich-Bezogenheit. Folglich sind die Gedanken und Emotionen, die sich aus dem Kontakt mit dem Grund des Geistes heraus formen, frei von Negativität.

Es muss zu einer tiefen Überzeugung werden, dass wir in unserem innersten Wesen gut sind – voller Mitgefühl, Weisheit und Verständnis. Und dass diese positiven Qualitäten nur zeitweise verdeckt werden, aber prinzipiell immer für uns zugänglich sind.

Aus diesen vier Einsichten heraus wird der tiefe Wunsch geboren, unser Leben so zu gestalten, dass es immer öfter möglich ist, „nach Hause zu kommen“.

Wenn wir sie immer tiefer und umfassender verstehen und verinnerlichen, wird die tiefe Motivaton entstehen, mit einem Geist zu leben, der mit immer weniger Unwissenheit, Aggression und Gier, aber dafür mit Bewusstheit, Wohlwollen und Verständnis mit der Welt und anderen Menschen in Beziehung treten kann.

Verbinde dich also immer wieder mit den oben angeführten Aspekten, kontempliere über sie und erinnere dich vor allem dann an sie, wenn du während des Tages Irritationen erlebst.