Dem Alltag Tiefe geben – dem Leben Tiefe geben

Dem Alltag Tiefe geben, heißt, allen Tagen, auch denen, die wir bisher als „Alltag“ bezeichnet haben und die uns durch Routine und Unbewusstheit entglitten sind, Tiefe zu geben. Unserem Leben Tiefe zu geben!

Dazu bedarf es einer neuen Ausrichtung und einiger Praxiselemente.

1. „Es ist ein neuer Tag, erwacht werde ich ihn leben“

Mit diesem Gedanken beginne ich den Tag und erinnere mich daran öfters im Laufe des Tages. Ich mache mich immer wieder frisch für das, was da ist, bin für alles wach und offen da, betrachte immer wieder alles mit „neuen Augen“ – meinen Partner, meine Kinder, meinen Chef und die Kollegen, die „gewohnte“ Straße, die ich täglich gehe oder fahre, meine „gewohnte“ Umgebung.
Ich „entdecke“ das Leben als Abenteuer, als Wunder.

2. „Alltag“ ist nur ein Begriff, eine Bewertung – keine Realität.

Wir sollten unser Leben, vor allem das, was wir täglich immer wieder tun, nicht herabsetzen, negativ betrachten.
Den überwiegenden Teil des Tages tun wir Dinge, die wir schon öfters oder immer wieder getan haben: essen, arbeiten, zur Toilette gehen, usw. Dem können wir nicht entgehen, auch nicht im Urlaub.

Wiederholung ist ein wichtiges Element in unserem Leben. Sie macht uns sicher, wir wissen, wie wir etwas tun müssen.
Betrachte und kontempliere das. Bringe in all diese Handlungen deine Wachheit und Bewusstheit.

3. Der Geist ist entscheidend, die Umstände beherrschen uns nicht.

Wir sind tief konditioniert zu glauben, dass die Umstände unser Erleben bestimmen. Aber das ist nicht richtig. Entscheidend ist unsere Betrachtungsweise, unser Geisteszustand. Wir sollten lernen, Tatsachen und deren Bewertung durch uns auseinander zu halten. Der Regen, die Grippe, die verpasste Straßenbahn sind Tatsachen.

Wir entscheiden, wie wir damit umgehen – wehklagend, verzweifelt, ärgerlich oder gelassen, heiter und kreativ!

4. Bewahre immer einen heiteren Geist.

Es ist eine natürliche, für das Überleben angelegte Verhaltensweise des Geistes, auf das zu achten, was schwierig und eventuell gefährlich ist, was nicht in Ordnung ist und eventuell korrigiert werden müsste.

Damit entsteht jedoch die Neigung, mit einem eingeengten Blick nur noch das Negative zu sehen. Wir sollten lernen, unseren Blick zu weiten und auch das zu sehen, was noch in Ordnung ist, was gut und schön ist, was uns nährt und unterstützt! Die förderlichen Bedingungen, die ich hatte und noch habe und das große Geschenk, dass ich das Dharma und spirituelle Freunde getroffen habe.

5. „Alles, was mir begegnet, sei gesegnet“

Wenn wir einer Situation begegnen, die anscheinend für uns zu schwierig ist, der wir im Moment hilflos gegenüberstehen, ohne Option und Kreativität, dann sollten wir die Praxis „Das Hindernis mit in den Weg bringen“ anwenden. Wie oft hat sich so eine Situation hinterher dann doch noch als positiv, förderlich erwiesen. Hier gilt es, offen und abwartend zu bleiben, so dass sich zeigen kann, was wir daraus lernen können und welche Entwicklung sich daraus ergeben kann.

6. Nur mit unserer Bewusstheit sind wir wirklich in Kontakt mit dem Leben

Wenn wir etwas automatisch, routinemäßig und nebenbei tun, sind wir in gewisser Weise unbewusst, das heißt, wir sind nicht mit unserem ganzen Wesen, klar und bewusst mit dem Leben in Kontakt. Wir sind da – und doch nicht da. Es ist, als wenn das Leben an uns vorbei fließen würde.

Wenn wir jedoch ganz mit dem, was wir tun, verbunden sind, eine Sache mit unserem ganzen Sein tun, wenn wir ganz da sind für das, was wir tun, für diesen Moment, sind wir in tiefem Kontakt mit dem Leben.

7. Das Bewusstsein muss kultiviert werden

Wir werden beobachten, dass es uns leichter fällt, ja fast natürlich ist, „unbewusst“ zu sein und dass es zunächst einer besonderen Bemühung bedarf, in allem was wir tun, bewusst, achtsam zu sein.

Deswegen müssen wir das Kultivieren des Bewusstseins unterstützen:

  • durch Regelmäßigkeit, das heißt durch beständiges Üben
  • dadurch, dass wir uns in unserem täglichen Leben nicht in zu viel, oft unnötigen Aktionen und Projekten verlieren.
    Wir sollten unsere Prioritäten daraufhin untersuchen, inwieweit sie unser geistiges und spirituelles Bestreben unterstützen. „Verschwende nicht deine Zeit, dein Leben!“
  • dadurch, dass wir unsere Nachlässigkeit in unserer Praxis nicht auch noch rechtfertigen oder uns mit Gedanken wie: „Heute passt es nicht, morgen ist ja auch noch eine Gelegenheit!“ beruhigen.

8. Stärke dein Bewusstsein durch die Praxis der „Nicht-Ablenkbarkeit“

Wenn wir unseren Geist ganz auf ein Objekt oder auf das, was wir gerade tun, ausrichten und uns dessen ganz bewusst sind, werden wir zu Beginn unserer Praxis feststellen, dass das zunächst nur für wenige Augenblicke möglich ist, und dass wir dann gedanklich abweichen.

Sobald wir das bemerken, kommen wir ganz einfach und liebevoll zu unserem Objekt oder dem was wir tun, zurück. So stärken wir allmählich die Geisteskraft der Nicht-Ablenkbarkeit und können immer länger und natürlicher unsere Bewusstheit halten.

9. Richte dein Leben nach heilsamen und konstruktiven Verhaltensweisen und Geisteszuständen aus

Als Richtlinien dazu dienen uns:

  • die 5 und die 14 Achtsamkeitsübungen
  • die heilsamen, geschickten Geisteszustände
  • die zu Beginn der Metta Sutta genannten Eigenschaften

 

10. Zwei Aktivitäten: eine zu Beginn, eine am Ende des Tages

  • In Erweiterung und Vertiefung unserer ersten Praxis lenken wir unsere ersten Gedanken am Morgen auf unsere Ausrichtung, auf die Verhaltensweisen und Geisteszustände, die wir anwenden und kultivieren wollen.
  • Am Ende des Tages nehmen wir uns die Zeit, den Tag noch einmal vor unserem geistigen Auge ablaufen zu lassen. Wir sehen im Abstand und mit Klarheit die verschiedenen Situationen, wie wir uns verhalten haben und aus welchem Geisteszustand wir reagiert oder agiert haben. Ein einfaches Beobachten und Feststellen, kein Werten!
    So werden wir allmählich vertrauter mit uns, sehen deutlich oder deutlicher, wann wir uns „unbewusst“, konditioniert und reagierend und wann bewusst, klar und agierend verhalten haben.

11. Wende die „vier Methoden“ in allen Situationen an.

Durch unsere bisherige Praxis haben wir so viel Bewusstsein und so viel Klarheit über unsere geistige Ausrichtung gewonnen, dass wir jetzt die Praxis in allen Situationen unseres täglichen Lebens anwenden können.

  • Wir können – oder üben uns immer wieder darin, die Situation mit einem klaren und offenen Geist sehen. Wir treten innerlich zurück, schaffen einen Abstand und können somit verhindern, spontan aus unseren bisherigen Konditionierungen und Gewohnheiten heraus zu reagieren.
  • Im Bewusstsein unserer geistigen Ausrichtung werden uns die beiden Möglichkeiten, auf die Situation zu antworten, deutlich: entweder aus einem heilsamen, konstruktiven oder aus einem unheilsamen, destruktiven Geisteszustand.
  • Wir bringen ganz bewusst in die Situation unsere Offenheit und Klarheit, unser Verstehen und unser Bemü-hen um Kommunikation, Kooperation und Mitempfinden ein. Wenn wir das immer wieder tun, kultivieren wir so unsere heilsamen Geistesfaktoren, bis sie eines Tages für uns „natürlich“ werden!
  • Dadurch, dass wir uns bemühen, nicht unsere konditionierten, automatischen, unheilsamen Verhaltensweisen und Geisteszustände auszuführen, werden diese allmählich geschwächt, bis wir eines Tages von diesen Tendenzen befreit sind!

12. Verbinde alle Situationen sofort mit Meditation

Wenn unser Geist “ in Meditation“ ist, ist er wach, offen, klar. Ein „großer Geist“, der die Situation sieht, wie sie ist und entsprechend immer aus heilsamen Geisteszuständen heraus agiert.

Jetzt erleben wir jeden Tag, jede Situation, jeden Moment bewusst und sind im tiefem Kontakt mit dem Leben.